DIE KRUX MIT DER ÜBERSETZUNG

 

Da lese ich doch gerade einen Satz des vielzitierten Paulo Coelho:

"Erst die Möglichkeit, einen Traum zu verwirklichen, macht unser Leben lebenswert."

Und ich denke bei mir: Was für ein Scheiß!

 

Nun gut, man kommt hier in den Bereich der Philosophie.

Und das bedeutet: Die Grundlage meiner Reaktion zu erörtern, würde Seiten füllen.

Aber darum geht es auch gar nicht, sondern ...

 

Was bekommen wir tagtäglich wohl so alles von Zwischendenkern,

die sich allesamt für kongeniale Kreative halten,

an Fremdgedankengut aufgetischt,

obwohl wir meinen, der Gedanke sei von A oder B oder Z.

 

Bei Shakespeare ist es mir schon vor vielen Jahren aufgefallen.

Sinnentstellung, Sinnentstellung, Sinnentstellung.

Seitdem spiele oder inszeniere ich keinen Shakespeare mehr,

ohne den Text wenigstens in der Neuenglischen Fassung gelesen zu haben.

 

Bei Poe's Gedichten erging es mir genauso.

Sinnentstellung. Und zudem falsche Rhythmik - oder gar keine.

Was mich dazu veranlasste, seine Texte für mein Bühnenprogramm neu zu übersetzen.

 

Am schlimmsten sind natürlich die im Original fremdsprachigen, eingedeutschten Filme.

Denn hier gibt es zudem noch die Vorgabe der Lippensynchronität.

Wie hier bisweilen am Originaltext - und damit natürlich auch am Originalspiel - vorbei gesprochen wird.

Hahnebüchen!

 

Kann man Übersetzungen überhaupt vertrauen?

Schwierig zu beantworten. Denn dazu müsste man alle Übersetzungen kennen.

Aber jeder kann für sich beantworten, ob er Übersetzungen vertrauen will.

 

Nun, wenn ich Dostojewski lese, muss ich das. Oder bei Garcia-Marquez. Oder, oder, oder.

Aber immer, wenn ich die Möglichkeit habe, das Original zumindest zu Rate zu ziehen ...

 

Nun weiß ich nicht, ob Coelho auf Englisch schreibt oder veröffentlicht - oder auf Portugisisch.

Aber zumindest im Englischen wird er wie folgt zitiert:

"It's the possibility of having a dream come true that makes life interesting."

 

Ich maße mir hier beileibe nicht an, dass ich ein Übersetzer wäre.

Aber wenn, dann würde ich den Satz übersetzen als:

"Es ist die Möglichkeit, dass ein Traum sich erfüllen könnte, die das Leben interessant macht."

 

Was ist der Unterschied?

 

Zum Einen geht es natürlich nicht um die philosophische Frage, was das Leben lebenswert macht.

Eher darum, wie man Spannung ins Leben bekommt, Lust auf dieses Geschenk, Interesse daran.

(Sofern einem dies irgendwann abhanden gekommen sein sollte.)

 

Und dann impliziert "... einen Traum zu verwirklichen ...",

dass ich derjenige bin, der meinem Leben aktiv Sinn verleihen muss.

Eine schreckliche und undankbare Sicht der Dinge.

Wohingegen "... Traum sich erfüllen könnte ..."

diesen Leistungsdruck - der mir in Summe aller das Leben vermiest - wegnimmt.

Aber die Aussicht, dass etwas Positives sich ereignen könnte, macht das Leben spannend.

Und damit wird schon der Weg spannend und sinnvoll.

Das einzige, was ich aber tun MUSS: Ich MUSS träumen.

Sonst hab ich kein Ziel. Und ohne Ziel kein Weg.

 

Ich jedenfalls glaube keiner Übersetzung, die ich nicht selbst in den Sand gesetzt habe.

Aber ich höre nicht auf davon zu träumen, dass es eines Tages richtig gute Übersetzungen geben wird.