ERST SO, DANN ANDERS - UND DANN WIEDER SCHÖN

Es gibt Tage, die beginnen ganz harmlos, nicht?

So auch dieser Tag. Kaffee, Zigarette, News im Internet. Dabei stoße ich auf einen Artikel, der als Glosse gekennzeichnet ist. Dem ich die Glosse aber nicht abnehme. Weil ich von den Merkmalen, die mir spontan wieder einfallen, dass sie angeblich zu einer Glosse gehören sollen, kaum welche wahrnehme. Mein persönliches erstes Résumé lautet demnach: Der Journalist meint seine Inhalte womöglich doch ernst. Was mir nicht so gefallen würde.

 

Also erneut lesen. Jeder bekommt eine zweite Chance. Wie war das nochmal? War da nicht etwas mit Komik bei der Glosse? Ja, schon. Nicht? Aber auch beim Wiederlesen konnte ich persönlich nichts, oder nur sehr wenig, davon erkennen. Kann das sein? Es muss doch! Sonst würde der Journalist doch nicht der Meinung sein, er habe eine Glosse geschrieben. Bin ich etwa humorlos? Nun, ich lache viel und gern. Aber zugegebenermaßen  eher selten über das, was landläufig heute unter Humor läuft. Da ereilt mich meist noch nicht einmal ein Zucken im Lid. Andrerseits gelingt es mir täglich Menschen zum Lachen zu bringen, sei es im Privaten, sei es im Beruflichen.

 

Na, komm schon: Ein drittes Mal lesen. Eine verblüffende Überschrift sollte sein, ja, okay, gilt. Wortspielereien hingegen, wohlwollend betrachtet, nur ein oder zwei. Für mich selbstverständlich. Doch wenn sich einem die Komik des Textes erschließt, vielleicht auch mehr. Nun, hierbei hapert es bei mir noch immer. Okay. Weiter. Ironie und/oder Satire. Nun ja, wenn man selbst bereits solche und ähnliche Gedankengänge, wie die des Journalisten, in sich trägt, ja, dann freilich kann man den ganzen Text ironisch lesen. Ist bei Ironie ja aber immer so, nicht? Funktioniert nicht bei allen. Nur bei denen mit derselben Wellenlänge. Bei den anderen wechselt der Sender dann gerne über zur beliebten Schadenfreude.

Ich jedenfalls trage diese Gedankengänge nicht in mir, und ich erkenne so früh am Morgen also auch keine Ironie. Vielleicht ja später am Tag. Dass es eine Glosse sei, meint mein erst jüngst wach gewordenes Gehirn, ist zunächst also nur eine Behauptung. Und ich entscheide mich fürs Erste für mein anfängliches Résumé. Lasse daraufhin eine kleine Welt daran teilhaben, in der einige das alles auch ähnlich sehen wie ich. Was aber nichts heißen muss. Schließlich können wir uns ja auch gemeinschaftlich irren und es ist doch eine Glosse.

 

Doch dann verweist einer auf eben die Glosse. Einer, der vielleicht erkannt hat, was ich noch nicht erkannt habe. Was ich ihm auch meine zu verstehen zu geben. Und irgendwie erwartete ich wohl, ich mit meiner elenden Erwartungshaltung Menschen gegenüber, dass man mit mir redet bzw. schreibt, dass beiderseitige Meinungen erläutert werden, dass man gerne auch mir auf die Sprünge hilft. Dass man im besten Fall einen Meinungskonsens findet. Etwas das in unseren Tagen, ach, so selten noch stattfindet.

 

Aber das Antwortfeld bleibt leer. Na gut. Was will man machen. - Und mittlerweile ist mir der Text, ob nun Glosse oder nicht Glosse, auch nicht mehr so wichtig.

 

Ich kümmere mich stattdessen nun um wichtige Dinge in meinem Leben. Doch später am Vormittag stoße ich, ganz zufällig, und nicht an der Stelle, an der ich markiert hatte, auf eine Überschrift zu einem Link, die das Wörtchen „Glosse“ enthält. Beim genaueren Hinsehen erkenne ich als Verfasser den Glossenbefürworter meiner Morgenlektüre. Ich klicke.

 

Oha! Meine Meinung, die zuvor weder kommentiert, noch kritisiert, noch korrigiert worden war, hatte als Initialzünder für einen Blog-Text gedient. Spannung! Ich lese einen gewohnt  gut geschriebenen Artikel. Ja, sicher, ich lese den Verfasser nicht zum ersten Mal. Habe ihn sozusagen „auf dem Schirm“. Der Artikel beschäftigt sich mit Humor und eben auch mit der Glosse, über die im Artikel geschrieben wird, dass bei ihr „unsere eigenen Bilder und Assoziationen im Kopf eine Rolle“ spielen und: „um so eindringlicher vermögen wir, mit gewissem Abstand, sie entsprechend gelassener zu analysieren. Im Ergebnis erreicht der gemeinsame Nenner, der Humor uns Menschen …“

 

Na, da bin ich doch ziemlich dabei. Meine Rede von wegen der Gedankengänge. Und dem „Vielleicht später am Tag“ erneut zu analysieren. Nur die Sache mit dem gemeinsamen Nenner Humor, da sperrt sich aus Erfahrung etwas sehr in mir. Denn nichts kann mehr entzweien, als der Streit ums Komische. Den gemeinsamen Nenner erkenne ich bei diesem Thema gar nicht. Aber weiter.

Denn jetzt fängt es an spannend zu werden. Der bisher allgemein verfasste Text bekommt für Insider - und einer von Zweien bin ja ich - gezielte Spitzen verpasst. Plötzlich ist, im Zusammenhang mit der Behauptung von Maßstäben, die da einer in punkto Glossen setzt, meint setzen zu müssen, von Zensur die Rede und von, im übertragenen Sinn, Intoleranz.

 

Puh! Da musste mir in der Tat erst mal jemand auf die Sprünge helfen, dass mir klar werden konnte, dass ich, der Jahr für Jahr, so man ihn lässt, mit seinem Leseprogramm „Die Dummheit wurde zur Epidemie“ unterwegs ist, um gegen Zensur (Fallbeispiel: Bücherverbrennung) zu wettern und unnachgiebig an die möglichen Auswirkungen zu gemahnen, dass ich einer wäre, der zensiert. Dass ich, der ich jeden Menschen zunächst einmal unvoreingenommen akzeptiere, selbstverständlich auch und immer noch diesen Blog-Autoren, in all seinen Arten und Unarten, dass ich intolerant bin. Gedankt sei für diesen besonderen Tag und diese persönliche Erkenntnis. (Die aber noch keine Einsicht ist.)

 

Aber weiter im Text, der jetzt fallkonkret wird. „Ein bierernster oder einfach rechthaberischer Besserwisser mag hierbei die Glosse an sich in Frage stellen. Kann man ohne weiteres.“ Na, na, na. Doch scheinbar wohl nicht. Wie sonst käme es, ohne auch nur irgendetwas vom Gegenüber, also mir, und dessen Persönlichkeit zu wissen, zu solch einer Charakterisierung, die das Negative eindeutig mit mir konnotiert. Zu einem Text, der vielleicht von mir jetzt zu streng genommen, mir ja wohl irgendwie den Mund und die Meinung verbieten möchte und der irgendwie ja wohl dadurch auch mit wenig Toleranz versehen ist.

 

Aber halt! Dieser Text tut das so für mich. Nur für mich. Weil ich mehr weiß. Jeder andere Leser des Blog-Textes aber wird, als treuer Leser und Kenner des Blog-Autors, in diesem Text, wer weiß, eine Glosse erkennen, darüber, wie man in unserer Gesellschaft mit zarten und wichtigen Pflänzchen Humor umgeht, der so unglaublich viele und schöne Formen annehmen kann, „wenn er denn freimütig zugelassen wird, ohne den moralischen Zeigefinger beim geringsten Anlaß emporzuheben. Kritik erwünscht, aber konstruktiv sollte sie schon sein, will man am Ende nicht als Spaßbremse gelten.“

 

Aha. Der moralische Zeigefinger ist also auch noch bei mir gelandet. Nun ja, ich sehe nicht mehr so gut, wie ich gerne möchte, aber, beim besten Willen, ich finde meinen moralischen Zeigefinger nicht. Bin ich denn schon ein Moralist, wenn ich aufgrund der Glosse - ja, von mir aus sei es eine Glosse, dann eben eine, deren Humor sich von meinem Humor um Welten trennt, weshalb ich weder ihre Ironie noch ihre sprachliche Eleganz erkennen kann, und also auch nicht, dass sie ist, was sie vorgibt zu sein - bin ich tatsächlich schon ein Moralist, wenn ich darüber postuliere „Noch so ein Armer Irrer, der nicht verlieren kann.“

 

Und von wegen Kritik und konstruktiv. Mag sein, dass ich als Besserwisser und als Schulmeister auftrete. Würde mich nicht wundern. Gehört wohl zu mir. Aber ich tue das nicht unfundiert und damit durchaus, wenn man dies wahrnehmen möchte, konstruktiv. In und aus Richtung des Blog-Autors wurde mir ja jede konstruktive Auseinandersetzung zum Thema verwehrt. Weshalb auch seine Schlussfolgerung, dass ich als eine Spaßbremse gelten könne, bei den Erkennern seiner „Glosse“ folgerichtig erscheinen wird, erscheinen muss. Ergo, und ich wiederhole mich hier, er hat gut geschrieben. Sein Ziel erreicht.

 

Ich kann damit leben.

 

Und erheitere meinerseits weiter die Menschen in meinem natürlichen Umfeld, im Zuschauerraum und an der Schauspielschule mit meinem, sagen wir mal, etwas seltsamen Humor, der, wer weiß, vielleicht auch glossentauglich ist. Ich sollte es mal ausprobieren.

 

 

PS: Das Ganze ereignete sich auf Facebook. Der Blog-Autor hat sich anschließend von mir entfreundet. Nicht, dass wir befreundet gewesen wären. Aber so ist das eben im blauen Buch.

 

© Jürgen M. Brandtner - 10.07.2016