ICH WILL DICH

Eine Nada Geschichte

Kaum hatte Cecè das Zimmer betreten, schon verpasste Nada ihm eine schallende Ohrfeige.

 

Zurecht. Was sie wahrscheinlich nicht wusste. Sie tat es dennoch. Ganz einfach. So. Weil sie auf ihn wütend war. Nach richtig oder falsch fragte sie in solchen Momenten nicht. Da war sie reinste Physik. Impulserhaltung. Und reinste Biologie. Beweis für der Schöpfung Schönheit. Fleischgewordene Göttlichkeit. Sie hätte, statt ihn zu ohrfeigen, ihm auch ein Messer ins Herz stoßen können. Er hätte es hingenommen, als Gottesurteil, und wäre, mit einem Lächeln auf den Lippen, zu ihren Füßen gestorben.

 

Cecè fragte sich, ob er womöglich in Nada verliebt sei. Vertagte die Antwort aber auf später. Zu schön war sie. In ihrer Wut auf ihn. Unerträglich schön. Weshalb er sie erst besänftigen musste, um nicht verrückt zu werden. Um nicht wie ein wildes Tier, ganz Instinkt, über sie herzufallen. Nicht dass Nada etwas gegen hemmungslosen Sex gehabt hätte. Im Gegenteil! Sie nahm sich, was sie wollte. Und sie wollte so einiges, was ihnen beiden Spaß bereitete. Dennoch. Trotz Gaunerseele wollte Cecè sie nicht einfach … ficken. Das „tat er“ mit seinen „Kunden", indem er diese herzlos über den Tisch zog und betrog. Nein. Nada wollte er auf den Schwingen seines Herzens vögeln, leicht wie ein Kolibri, majestätisch wie ein Königsadler.

 

Cecè spürte der Wut Nadas nach, die sich auf seiner Wange mittlerweile zwiefach manifestiert hatte. Ihre Wut tat weh. Vielfach. Er mochte es nicht, wenn Nada in irgendeiner Weise wütend oder verzweifelt war. Seit er sie kannte, gaunerte er eigentlich nur noch für sie. Sie sollte es gut bei ihm haben. Solange sie blieb. Denn natürlich würde sie wieder gehen. Er war alt. Sie war jung. Dies jetzt war nur ein Intermezzo. Doch so schön wie das eines Mittsommernachtstraums, eingebettet in die Worte Shakespeares, umspült von den Klängen Mendelssohn-Bartholdys. Nur ein Intermezzo. Doch wunderschön. So schön wie sie selbst.

 

Sie mochte schnelle Autos. Gut. Er hatte ihr einen anthrazitfarbenen Austin Healey 100 mit roten Seitenteilen und verchromten Stoßfängern geschenkt. Sie mochte schöne Kleidung und schöne Accessoires. Er hatte ihr unter anderem ein diamantbesetztes Stirnband mit Schwanenfeder und ein pinkfarbenes Unterkleid aus reiner Seide geschenkt. Und noch viel mehr. Er liebet es, sie zu beschenken, ihr die, wenn auch ergaunerte, Welt zu Füßen zu legen. Doch ausgerechnet heute, wo sie so wütend auf ihn war, war er mit leeren Händen, nur mit sich zu ihr zurückgekommen. Und das schien schwerlich genug.

 

Nada hatte sich aufs Sofa zurückgezogen. Vorsichtig nahm er neben ihr Platz. Eigentlich fror sie fast immer, doch ihre Wut hatte sie erhitzt und sie verströmte eine wohlriechende Wärme. Er sog sie tief in sich ein. Ein aphrodisierender Moment. Er versuchte sie mit seinem Lachen zu berühren. Doch als wäre dies seine Hand selbst und hätte sich auf eine ihrer Brüste gelegt, schlug sie es zurück. Und ging dann zu einem neuen Angriff über. Sie schoss ihre verbalen Pfeile mit der Gnadenlosigkeit himmlischer Blitze ab. Und er konnte froh sein, dass sie es nicht in ihrer Muttersprache tat. Denn dann würde sie ihn, hier auf dem Sofa, mit allerursprünglichster Wucht vernichten.

 

Streiten konnte Cecè bei Nähe nicht besonders gut. Ja, wäre Nada ihm fremd und müsste er ihre Gunst erst ergaunern, so hätte er mit Leichtigkeit einen Schutzschild aus Worten gegen ihre spitzsilbigen Nadeln errichtet. Und womöglich wäre sie ihm auch unterlegen. Denn er kannte alle Tricks. War ein beinahe furchterregender Rhetoriker. Doch eben nur bei akutem Herzstillstand. Sobald dies ihm aber aufgrund von emotionaler Nähe schlug, verknoteten seine Stimmbänder und Hirnwindungen. Und seit gut zwei Wochen schlug sein Herz, als würde Thor mit seinem Hammer wieder und wieder auf die Messingschale des menschlichen Universums hauen.

 

Was also konnte er, außer erdulden, tun? – Nada liebte an ihm seine Fähigkeit albern sein zu können. Das in ihm lebende Kind, das mit weitäugiger Naivität staunen und staunen machen konnte. Das mit lachendem Herzen ihr Herz zum Lachen bringen konnte. Vielleicht wäre es ihm möglich, Nada mit eben diesem Kind etwas zu besänftigen. Über was hatte sie gerade gezetert? Über ein Monster? Sein ausgewähltes Opfer ein Monster? Nun, es war keine ausgesprochene Schönheit. Aber … Was oder wen hatte sie denn hier erwartet? Einen Beau mit Universitätsabschluss? Den sie erst flachlegen und dann ausnehmen konnte? Bedeutete er, Cecè, ihr, Nada, denn so wenig, dass das Aussehen ihrer Opfer begann eine Rolle zu spielen? War sie denn kein bisschen …? Er schob die Frage beiseite.

 

Nun denn. Monster! Diese eignen sich hervorragend. Wenigstens in der heutigen Zeit, in der sie das Kino so lieblich gepixelt darzustellen vermag. Er musste mit dem Monster spielen. Ihr auf kindlich-groteske Weise die dadurch entstandene Wut auf ihn wieder nehmen. Sie zum Mitlachen bringen. Cecè zog also, statt vernünftig zu antworten, eine Schau ab. Er hinkte und krüppelte sich durchs Zimmer. Er suchte in Ritzen und unter Gläsern nach dem fetten Monster. Er echauffierte sich, maßlos überzogen, über die Unmöglichkeit, dass Nada jenes Monster hier habe vorfinden müssen. Dass ein wohl Unbekannter es hier herein gelassen haben musste. Und dass es, das Monster, in seiner schwitzenden Einäugigkeit, Nada in eine ihr peinliche Verlegenheit gebracht hatte.

 

Als Cecè innehielt entstand ein kurzer Moment knisternder Stille. Er saß von ihr abgewandt, konnte nicht sehen, was in ihr vorging. Doch dass etwas in Nada sich änderte, konnte er beinahe physisch wahrnehmen. Mit seiner letzten Grimasse noch fest im Gesicht drehte er sich langsam und vorsichtig in ihre Richtung. Ihre Blicke trafen sich, ihre Augen saugten sich aneinander fest. Und aus den Perlen darunter zischte es: Du bist so ein Arschloch! Jeder andere wäre im Moment gestorben. Nicht so Cecè. Denn er sah, auch wenn es kaum mehr war als der Wimpernschlag eines Schmetterlings, das eilige Kommen und Gehen schwach gefurchter Fältchen um Mund- und Augenwinkel. Er hatte einen Etappensieg errungen.

 

Schon während die beiden nun übers Geschäftliche sprachen, bemerkte Cecè, dass Nada ihre Intention änderte. Sie stand vom Sofa auf und setzte sich auf den Sessel vorm Schlafzimmer. Ein deutliches Zeichen. Lang würde es nicht mehr dauern. Doch er war sich nicht klar darüber, inwieweit diese Göttin, die er anbetete, immer noch Wut auf ihn in sich trug. Sie vermochte so verdammt gut zu schauspielern. Und wenn sie nun beabsichtigte die Rollen zu tauschen? Sich selbst zur Gottesanbeterin zu machen? Um ihr Männchen nach der Paarung aufzufressen? Er versuchte sich weiter im Spiel des Kindes.

 

Doch Nada kannte kein Erbarmen mehr. Als Cecè vor ihr am Boden lag, trat sie … nicht nach. Im Gegenteil. Sie stellte ihre Füße genussvoll langsam so, dass sich ihr Schoß vor seinen Augen verheißungsvoll öffnete. Sein Herz stockte, sein Atem hechelte und seine Sprache speichelte. Dieses Paradies zog ihn an einem unsichtbaren Schlangenseil zu sich heran. Doch in dem Moment, da Cecè sich bereit glaubte, stieß Nada ihn mit einem Fußtritt auf den Boden zurück. Stand selbst in diesem Moment auf und sogleich über ihm. Und trotz ihres langen Kleides war es erneut ihre Pforte, die nun im geheimnisvollen Dunkel lag, die sie ihm präsentierte. Und die Wärme des Lebens senkte sich auf ihn herab, die göttliche Energie von Anfang und Ende. Er schloss die Augen und versenkte sich.

 

Als er seine Augen wieder öffnete, war sie schon weiter gegangen. Er sprang auf und ihr in den Weg. Zerrte sich das Henkersseil der feineren Gesellschaft vom Hals und legte es ihr zärtlich und fordernd mit einem stummen „Ich liebe dich, Naduccia!“ um den ihren. Und während er sie an sich heranzog …

 

Fortsetzung folgt. In Ihren Köpfen, werte Leser.

 

 

 

© Jürgen M. Brandtner - 17.12.2015