Sommer-Freilicht-Kino. Ausverkauft. Zwar schließen in Deutschland nach wie
vor Kinos, aber Freilicht ist ein Event. Und Event geht immer. Egal wie, wo und was.
Apropos „egal wie“. Ein entzückender Vorfilm wurde gezeigt. „Omnibus“ von Sam Karmann aus dem Jahre 1992. Eineinhalb Mal. Denn beim ersten Durchlauf war zunächst niemand fähig, die bunte Scheinwerferflut, die zur Steigerung der guten Laune vor Beginn zwei unnötige Stunden lang die Leinwand beleuchtete, auszuschalten. Mein „Dilettantisch!“ wurde von einem herumfahrenden Gutmenschenkopf quittiert mit „Es ist Sommer. Wir haben alle Urlaub - und werden uns einfach an einem schönen Abend erfreuen!“ Genau! Egal wie! Auch wenn wir einen Film anschauen, den wir gar nicht sehen. In diesem Moment wurde der Vorfilm angehalten, die Scheinwerfer gelöscht, und der Kurzfilm erneut gestartet.
Zehn Minuten später. „Nachtzug nach Lissabon“ nach Pascal Merciers Bestseller, den ich nicht gelesen habe, beginnt. Und eröffnet das Szenario mit einem meiner
Lieblingsschauspieler. Jeremy Irons. Herrlich, wie er in wenigen Momenten den am Leben vorbeilaufenden Eremiten Raimund Gregorius zeichnet. Aber nach kurzer Zeit wird es kalt. Ungemütlich kalt.
Und das liegt nicht nur an den stark fallenden Außentemperaturen. Gregorius Vereinnahmung durch ein Buch, das ihm blieb von einer jungen Frau, die er vorm vermeintlichen Selbstmord rettete, und
seine Entscheidung, aufgrund von Zugfahrkarten, die er im Buch fand und die er wohl der jungen Frau - ohne Zugfahrkarte - in den Zug nachtragen will, sein bisheriges Leben zu verlassen und nach
Lissabon zu fahren, in die Heimatstadt des Autors des Büchleins; diese Vereinnahmung und dieser Entschluss bleiben für den Zuschauer, der das Buch nicht kennt, ein Rätsel. Und wenn schon der
Aufhänger schräg hängt?
Für mich ging’s unglaubwürdig weiter. Scheinbar ist in Lissabon die Zeit in gewisser Weise stehen geblieben. Denn auf Gregorius Suche nach Autor - und dann auch
Freundes- und Bekanntenkreis - gibt es, bis auf die Tatsache, dass der Autor selbst bereits tot ist, keinerlei Hindernisse. Alle Personen, mit denen wohl ein Puzzleblick auf das Salazar-Regime
geworfen werden soll (Regie: Bille August; u.a. „Das Geisterhaus“), leben brav da, wo sie schon immer lebten, stehen nach höchstens zwei Anläufen bereitwillig über die Vergangenheit Rede und
Antwort und der Blick zurück gerät lückenlos geschmeidig und lässt bei Gregorius keine Fragen offen. Und nebenbei wird der Autor des Büchleins zu einem strahlenden Helden: ein Arzt, weil
niemand(!) Schmerzen empfinden soll, der gegen die Diktatur kämpft, aber auch Salazars Schergen - hier: der „Schlächter von Lissabon“ Rui Luís Mendes - selbstverständlich das Leben rettet. Da aber gerade dieser strahlende Held Gregorius Sicht auf sein eigenes Leben verändert,
ist auch dieser Handlungsstrang glatt, bügelfrei, langweilig.
Dem Gutmenschenkopf vom Vorfilm hat „Nachtzug nach Lissabon“ übrigens sichtbar gut gefallen.
Und ich werde mir das Buch von Mercier zulegen. Jetzt will ich’s wissen.